Wie ein sächsischer AfD-Politiker ohne Belege Stimmung gegen queere Geflüchtete macht
Ein sächsischer AfD-Politiker behauptet, „Whirlpool-Veranstaltungen“ queerer Afghanen seien mit 68.000 Euro aus Steuermitteln gefördert worden. Doch die Summe ist nirgends zu finden.

„68.000 Euro im Jahr für Whirlpool-Veranstaltungen von queeren Afghanen. […] Das kriegt eine NGO, also ein gemeinnütziger Verein, […] der solches Zeug betreibt. Und da gehen sie hin, die Steuergelder.“ Das behauptet der sächsische AfD-Politiker Joachim Keiler in einem Interviewausschnitt, den der Landesverband auf Youtube, Instagram und Tiktok verbreitet.
Doch Belege für diese Behauptung sind nicht auffindbar. Wir haben rekonstruiert, worum es geht – und sind auf ein Angebot für Geflüchtete gestoßen, in das nicht 68.000 Euro, sondern laut der gemeinten NGO rund 175 Euro Fördergeld geflossen sind.

Die Pressestelle der AfD Sachsen schrieb uns zunächst auf Nachfrage, sie könne versichern, dass es solche Fälle tatsächlich gebe und sich auch höhere Ausgaben finden ließen. Sie verwies auf einen Bild-Artikel von 2023 und einen Sonderbericht des sächsischen Rechnungshofes. Später verwies die Partei auf eine längere Vorabversion des Berichts, die nicht öffentlich ist.
Von 68.000 Euro steht im Sonderbericht nichts. Zwei Quellen bestätigten uns, dass sich auch in der Vorabversion keinerlei Hinweise auf die Summe fänden.
Verein CSD Dresden erhielt ab 2015 Gelder im Rahmen der Förderrichtlinie „Integrative Maßnahmen“
Auf Nachfrage, um welche NGO es geht, verweist auch Keiler auf den Sonderbericht des Landesrechnungshofes, genauer auf die Randzahlen 871 bis 873. In diesem Abschnitt des Sonderberichts und auch im Bild-Artikel geht es um Kritik des sächsischen Rechnungshofes (SRH) an der Vergabepraxis von Fördermitteln des sächsischen Sozialministeriums (SMS) im Rahmen der „Förderrichtlinie integrative Maßnahmen“. Der SRH sprach von „erheblichen Defiziten“ in deren Umsetzung. Der Sonderbericht ist umstritten.
Die Randzahlen 871 bis 873 des Berichts befassen sich mit einem bestimmten Projekt des CSD Dresden, es geht um das Jahr 2019. Der Verein veranstaltet den örtlichen Christopher Street Day, betrieb aber auch eine Koordinationsstelle für homosexuelle Flüchtlinge und gehörte seit 2015 zu den Empfängern von Fördergeldern der Richtlinie. Laut Angaben des SMS erhielt der Verein zwischen 2015 und 2024 jährlich im Durchschnitt 114.000 Euro (hier, hier, hier und hier). 2019 bekam er rund 161.000 Euro Förderung. Gefördert wurde er unter anderem für die Beratung und Begleitung von Geflüchteten.
Sauna-Eintritt im Rahmen der „Refugee Card“ wurde vom Betreiber kostenfrei angeboten
Der Verein gab auch eine „Refugee Card“ heraus, die Geflüchteten unter anderem freien Eintritt in der Sauna „Paradise“ im Norden Dresdens ermöglichte. Allerdings habe die Sauna nie Geld vom CSD Dresden e.V. erhalten, wie der Vorsitzende Ronald Zenker damals der Bild erklärte. Das bestätigte der Bild auch der Chef der Sauna, Ralf Koppetzki. Auf Fragen von uns dazu antwortete er nicht. Der Bild erklärte er den Zweck der Aktion so: „Die Idee dahinter war eigentlich, schwulen Flüchtlingen eine anonyme Möglichkeit einzuräumen, nach ihrer Ankunft in Deutschland Kontakt zur Szene zu bekommen. Auf der Karte steht deshalb nur eine Nummer, die persönlichen Daten sind beim CSD hinterlegt.“
Die „Refugee Card“ war als Übersicht für wichtige Telefonnummern für Asylbewerber gedacht, erklärt uns CSD-Dresden-Vorstand Ronald Zenker: „Die Refugee Card war eine Notfallkarte und keine Karte für irgendwelche Eintritte! Es gab zwei Unternehmer, welche Mitglied im CSD Dresden e.V. sind, die queeren Geflüchteten mit dieser Karte Zugang zu ihren Veranstaltungen gewährt haben, und zwar solange, wie diese Personen in Bezug von Asylbewerberleistungen waren.“ Der Eintritt in die Sauna stand allen Geflüchteten mit Asylbewerberleistungen frei, nicht nur Afghanen.
Genaue Kosten der „Refugee Card“ unklar
In dem Bericht des SRH wird moniert, dass die Karte nicht Teil des Förderantrags und deswegen nicht zuwendungsfähig gewesen sei. Die Pressestelle des SRH erklärte auf Nachfrage dazu: „Der Verein hat Maßnahmen im Verwendungsnachweis abgerechnet, die nicht im Antrag enthalten und damit nicht Bestandteil der Bewilligung waren.“
Laut CSD-Dresden-Chef Ronald Zenker war die Idee der Karte erst nach Antragstellung des Projekts aufgekommen und wurde dann einfach per mündlicher Absprache nachgereicht, was wegen des geringen Betrags auch problemlos bewilligt worden sei. Der Druck der Karte habe 174,06 Euro gekostet, schrieb er uns.
Konfrontiert mit diesen Rechercheergebnissen schreibt Keiler: Die Druckkosten stellten nicht die Gesamtkosten der „Refugee Card“ dar.
Auch im Bericht des SRH heißt es, es seien „Personal- und Sachausgaben“ angefallen. Wie viel neben den rund 175 Euro für die Druckkosten an Fördergeld direkt oder indirekt in die „Refugee Cards“ flossen, bleibt unklar: Weder das SMS, der SRH noch die sächsische Aufbaubank gaben uns Auskunft über die genauen Ausgaben für die „Refugee Card“.
Uns liegt der Verwendungsnachweis des CSD vor: Die Summe von 68.000 Euro lässt sich daraus nicht nachvollziehen. Laut Zenker vom CSD Dresden habe die Karte abgesehen von den rund 175 Euro keine weiteren Kosten verursacht.
Rechnungshof behauptete nie, dass der Sauna-Eintritt aus Steuermitteln finanziert wurde
Unabhängig von den etwaigen Kosten der „Refugee Card“ heißt es im SRH-Bericht: „Über die Finanzierung des Eintritts zu den Veranstaltungen enthielt der Verwendungsnachweis keine Angaben.“ Dieser Punkt ist deshalb relevant, weil der Landesrechnungshof nur die Sinnhaftigkeit von verwendeten Mitteln aus öffentlicher Hand überprüft. Was der CSD Dresden dagegen mit Privatspenden oder Vergünstigungen von Firmen, etwa dem Saunabetreiber, macht, fällt nicht in seine Zuständigkeit. Wenn für den Gratis-Eintritt, wie das laut CSD und der Sauna hier der Fall war, gar keine Steuergelder verwendet wurden, ist es nicht die Aufgabe des Rechnungshofes, sich damit zu befassen.
Der SRH schrieb uns auch, er habe „zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass der Sauna-Eintritt aus Steuermitteln finanziert wurde.“ Das SMS dazu: „Die Förderung von Saunabesuchen, Whirlpool-Veranstaltungen und Spa-Besuchen ist nicht Gegenstand der Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen.“ Weder der SRH noch das SMS können nachvollziehen, wie Keiler auf die Summe kommt.
Für die 68.000 Euro fehlen jegliche Belege
Was also wissen wir nun? Der CSD Dresden gab erstmals 2019 eine „Refugee-Card“ heraus, in deren Druckkosten Fördergeld floss, laut CSD etwa 175 Euro. Mit dieser Karte konnten Geflüchtete auch eine Sauna besuchen. Der SRH kritisierte unter anderem, dass die Karte nicht Teil des schriftlichen Förderantrags gewesen war. Laut CSD und dem Saunabetreiber floss kein Fördergeld in die Sauna-Eintritte. Unklar ist, ob weiteres Fördergeld in die „Refugee Card“, etwa in Personalkosten, floss. Laut CSD war das nicht der Fall.
Völlig offen bleibt, wie Keiler auf die 68.000 Euro kommt. Nach mehrmaliger Nachfrage verweist Keiler dazu schließlich auf „interne Unterlagen“ des Untersuchungsausschusses, unter anderem der sächsischen Aufbaubank – diese antwortete nicht auf unsere Anfrage zu derartigen Dokumenten. Die Unterlagen seien im Parlament mittlerweile auf Beschluss des Ausschusses gelöscht worden, schreibt er. Er selbst sei als Mitglied des Untersuchungsausschusses an den Geheimhaltungsbeschluss gebunden und wolle sich nicht weiter zu dem Thema äußern. Wir haben neun damalige Mitglieder des U-Ausschusses gebeten, Keilers Darstellung einzuordnen, erhielten jedoch bis Redaktionsschluss keine inhaltlichen Antworten.
Redigatur: Max Bernhard, Paulina Thom, Gabriele Scherndl
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Sonderbericht des sächsischen Rechnungshofs von 2023: Link